Sich selbst verzehrend – Fasten im Januar

„Wenn ich nichts gegessen habe, kann ich keinen Sport treiben“, sagte W. als ich ihm eröffnete, dass wir am Wochenende erst um 16:00 Uhr zu Mittag essen würden. Das ist verständlich, wird so manche/r sagen, mir geht es genauso. Nur – wir fasten gerade, d.h. wir essen sowieso nichts Festes. Was wir Mittagessen nennen, ist nichts weiter als eine klare Gemüsebrühe, deren einzige feste Bestandteile die frischen Kräuter sind, mit denen wir sie würzen. Wir könnten die Brühe ebenso trinken – aber wir essen sie. Wir bewegen jeden Löffel, den wir zu uns nehmen mehrmals im Mund hin und her – kauen die Brühe förmlich und genießen jeden „Bissen“. 

Unser Freund W. hatte kürzlich von seinem Aufenthalt in einem Fastenhotel geschwärmt, bei dem er vor einigen Jahren merklich an Gewicht verloren hatte. Jetzt kurz nach Weihnachten hatten wir genug von Quarkstollen, Schokolade, Plätzchen und Raclette. Die alljährliche Völlerei der Weihnachtszeit hatte sich nicht nur auf der Waage unübersehbar Geltung verschafft. Dem alljährlichen Diätwahn, der mir in Form von Schlagzeilen wie „22 geniale schlank Tricks“, „Der Stoffwechseltrick schmilzt Pfunde“ (Bild der Frau) oder „Schlank ohne Verzicht“ (Fokus) und „Machs dir leicht – ganz einfach abnehmen“ (Brigitte) aus dem Supermarktregal entgegen schrie, wollte ich nicht folgen, soviel war sicher. Ich lasse mir nicht vormachen, dass Abnehmen einfach ist, dagegen spricht meine jahrzehntelange Erfahrung. Mit Fasten aber hatten J. und ich schon gute Erfahrungen gesammelt und zwar mit Hilfe des Fastenführers von Doktor Lützner. Ich meine den mit der Titelseite, auf der ein Kerl aus der viel zu weiten Hose springt. W. war begeistert,  in J. und mir zwei mehr oder weniger erfahrene „Selbstfaster“ gefunden zu haben und schlug eine gemeinsame Fastenkur zu Hause vor. Am liebsten wollte er sofort loslegen. Wir warteten Neujahr ab und stellten in der ersten Woche des neuen Jahres unseren Fasten-Plan auf: Entlastungstag mit leichten Gerichten als Einstimmung aufs Fasten, mit Leinsamen und getrockneten Feigen, um die Verdauung zu fördern und mit anderen Maßnahmen, um unsere Gedärme zu reinigen. Es ist tatsächlich so, dass der Hunger ausbleibt, wenn Magen und Darm entleert sind. Was aber leider nicht gleichbedeutend ist mit Appetitlosigkeit. Unsere Fastentage folgten immer dem gleichen Speiseplan: Frühstückstee mit etwas Honig, zum Mittag eine klare frisch zubereitete Gemüsebrühe, am Abend Gemüse- oder Obstsaft und zwischendurch reichlich Wasser. Das tägliche Kochen der Gemüsebrühe erzeugte bei mir eine Befriedigung, die der beim Essen nicht unähnlich war. Allein der Geruch, der beim Schneiden des Gemüses in meine Nase zog, war ein Genuss. Die Sinne wurden von Tag zu Tag geschärft und während die ersten beiden Tage noch etwas schwierig waren, hatte sich am dritten Tag alles eingespielt. Wir trafen uns täglich mit W. zum Mittagessen, das wir wahrlich zelebrierten – wir „kauten“ unsere  Gemüsebrühe und gönnten uns zum Nachtisch eine Zitronenscheibe, denn unsere Körper sollten an Elektrolyten keinen Mangel erleiden. Wir gingen spazieren, trieben Sport und fühlten uns meistens fit und klar im Kopf. Wir hatten zwar keinen Hunger aber durchaus Appetit: J. träumte von Kaffee und Kuchen, ich sehnte mich nach Kartoffelsalat mit Maultaschen und W. schwärmte von Döner. Alles nicht gerade die gesündesten Lebensmittel, dabei wollten wir doch mit dem Fasten auch unsere Ernährung umstellen, weniger Fleisch, mehr Gemüse und insgesamt gesünder und bewusster essen. 

Am Sonntag sollte unser letzter Fastentag sein, fünf Fastentage schlägt Doktor Lützner für Fasteneinsteiger vor – aber J und W. überredeten mich, noch drei Tage weiterzumachen, wir seien ja keine Einsteiger mehr, meinten sie. Die beiden Männer waren hochmotiviert, was kein Wunder war, denn bei ihnen purzelten die Kilos, während es bei mir nur 100-grammweise abwärts ging. Doktor Lützner erklärte mir in seinem Fastenführer, dass es ein natürlicher Vorgang sei, wenn Frauen beim Fasten weniger Gewicht verlören als Männer, denn das männliche Gewebe hätte einen höheren Salz- und Wassergehalt – das klang einleuchtend.

Ich motivierte mich mit dem Gedanken, dass es beim Fasten ja nicht nur ums Abnehmen geht, sondern in erster Linie um die Entschlackung des Körpers, die Reinigung von Giftstoffen, die Verjüngung der Zellen, die Erholung der Leber sowie um die positive Wirkung auf Bluthochdruck, Diabetes, Arteriosklerose, und Gelenkschmerzen. Bei meinem nächsten Gesundheitscheck in meiner Hausarztpraxis würde ich mit vorbildlichen Blutwerten belohnt werden, davon war ich überzeugt. Dass  Fasten insgesamt lebensverlängernd sein soll, erschien mir etwas unlogisch, angesichts der so genannten Autophagie, die beim Fasten angeblich in Gang gesetzt wird. Als Autophagie wird der Prozess bezeichnet, bei dem in den Zellen eigene Bestandteile abgebaut und verzehrt werden. „Sich selbst verzehrend“ lautet die Übersetzung aus dem Altgriechischen. 

Da bin ich dann doch froh, dass sich meine Zellen nicht ganz so schnell auffressen, wie die der Männer. Ich frage mich, ob das der Grund dafür ist, dass Frauen eine höhere Lebenserwartung haben als Männer? 

Nach acht Fastentagen ist nochmals Vorsicht geboten: Döner, Kartoffelsalat und Sahnetorte sind noch nicht angesagt. Wir begehen das Fastenbrechen mit einem leicht gedünsteten Apfel, gewürzt mit Zimt und Zitrone. W. erlebt bei dieser „Mahlzeit“ eine „Explosion der Geschmackssinne“, wie er sagt. Unsere Sinne sind tatsächlich geschärft, und wir genießen jeden Bissen. Hoffentlich können wir uns dies noch eine Zeitlang bewahren, auch wenn uns die Waage bald wieder hämisch das Gewicht der Vorfastenzeit hinterherschreien wird.

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  1. sthorangmxnet sagt:

    Sehr nett beschrieben, liebe Elke.

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