Trennlinien

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Im vergangenen Jahr gab es ein Malheur mit unserer Unterputz-Toilettenspülung. Sie funktionierte nicht richtig und H. versuchte, sie zu reparieren. Blöderweise fiel ihm dabei der so genannte Druckbolzen in die Untiefen des Schachts, in dem sich der Spülkasten befindet. Zu blöd! Eine Sanitärfirma zu finden gestaltete sich schwierig. Schließlich konnte ich einen kleinen Betrieb in der Nähe für die Reparatur gewinnen. Allerdings mussten wir acht Wochen warten. „Dann müssen wir die Spülung eben ohne Druckbolzen betätigen. Man gewöhnt sich an alles,“ redete ich mir gut zu. Außerdem sind kleine Störungen im Trott der Gewohnheitshandlungen förderlich. Sie halten mich flexibel, zumindest ein wenig, denn wirklich flexibel bin ich sicher nicht, schon allein wegen der Sache mit der „Blase“, in der ich lebe. Im Grunde leben wir ja alle in Blasen. Die einen in der einen und andere in anderen. Ich denke mal, es gibt eine Fülle verschiedener Blasen.  

Gerade jetzt, wo die politische Stimmung in unserem Land zu kippen droht oder vielleicht schon gekippt ist, denke ich mehr als sonst darüber nach, wie ich selbst in meinem eher gemütlichen und wohlsituierten Kiez lebe. Die Straßen sind von schönen Altbauten und Stadtvillen gesäumt, die mehr als einhundert Jahre alt sind. Die meisten Menschen, die ich in der Nachbarschaft kenne, wohnen in schönen Wohnungen in eben diesen Häusern. 185 denkmalgeschützte Häuser gibt es im Berliner Ortsteil Friedenau. Allerdings gibt es auch andere Häuser. Die blende ich häufig aus. Es sind Bauten, die nach dem zweiten Weltkrieg errichtet wurden, um die Lücken zuschließen, die durch die Zerstörung von Wohnhäusern entstanden sind und natürlich, um schnell dringend notwendigen Wohnraum zu schaffen.

Die Unterschiedlichkeit der Häuser bestimmt – zumindest zum Teil – die soziale Mischung. In meiner Umgebung befinden sich Bioläden, das Lula Deli, in dem es leckere Sauerteigpizza und das 750 g-Sauerteigbrot für 6 € gibt. Daneben befinden sich eine Bäckerei, die zwar nicht günstig, aber nicht so teuer wie das Lula ist und ein Discount-Bäcker. Vor letzterem sitzen die Leute und trinken Billigkaffee, während schicke Mütter und Väter mit ihrem Latte oder Galao aus dem Lula vorbeischlendern.  

In Gedanken spaziere ich weiter durch unseren Kiez, auf der Suche nach Trennlinien, die es in vielen Bereichen gibt: bei Frisören, Cafés, Lebensmittelläden, Imbissen, Blumenläden, Kneipen oder Bars. Im Café Sonnenschein gibt es Pferdefleischrouladen, Eisbein oder Strammen Max. Im Lula Deli die Teriyaki Bowl mit Austernpilzen oder die Pasta Bowl mit gegrilltem Gemüse und Burrata.

Allein die Art des Schriftzugs über dem Eingang oder ein Blick auf die Speisekarte sagt mir scheinbar, was zu mir passt und was nicht. Warum sonst habe ich noch nie einen Fuß in bestimmte Läden oder Restaurants gesetzt? Ich nehme mir vor, zum Billig-Bäcker zu gehen und herauszufinden, wie ich mich fühle, wenn ich dort sitze. Ich ahne, dass es sich fremd anfühlen wird. Aber ich würde schon gern mit den Menschen ins Gespräch kommen – in einer Zeit, in der so viel Wut da ist, so viel Unzufriedenheit, von der ich nicht wirklich etwas weiß, aber viel wissen möchte, um zu verstehen und mich zu verhalten. 

Ich denke an den Handwerker, der mittlerweile da war, um unsere Toilettenspülung zu reparieren. Ganz nebenbei habe ich von ihm einiges über die täglichen Herausforderungen von Handwerksbetrieben erfahren. Es sind Herausforderungen, von denen ich nichts mitbekomme. Genau so geht es mir, wenn ich mit dem Paketboten spreche, der über seine Arbeitsbedingungen spricht oder wenn mir mein Physiotherapeut um die Ecke erzählt, wie es ist, als Ein-Mann-Betrieb zu arbeiten. 

Futter für meine Gedanken ist auch der neue Film Perfect days von Wim Wenders. Die Hauptfigur Hirayama begegnet Menschen, die aus anderen Welten kommen mit einer zurückhaltenden Freundlichkeit und gleichzeitig mit einer überraschenden Empathie. Es ist diese bemerkenswerte Empathie, die zum Nachdenken anregt und nachhallt „Es gibt viele verschiedene Welten.“ philosophiert er, „Wir glauben, dass diese miteinander verbunden sind, aber das stimmt nicht.“  

Dennoch Interesse und wirkliche Anteilnahme zu zeigen, die sich in Handeln umsetzt – das ist die eigentliche „Kunst“. Das ist mein Fazit. Ich empfehle den Film, der auf ungewöhnliche Weise zeigt, wie es gehen kann. 

3 Kommentare Gib deinen ab

  1. Anke sagt:

    „Man versteht die Welt nicht, wenn man nur aus dem eigenen Fenster guckt.“, sagte neulich der Don in meinem Radio sinngemäß. Jeden Morgen gibt er den Hörern einen solchen (Denkan-)Satz mit auf den Weg. Du kommst mit deinem Spaziergang durchs Stadtviertel schon weiter. 😉
    Ich mag deine offene und interessierte Art, das Leben und die Menschen zu betrachten. Danke, dass du uns mit deinen Texten mitnimmst, liebe Roswitha. Herzliche Samstagsgrüße aus Norditalien von Anke

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    1. rossitext sagt:

      Liebe Anke, das mit den Denkansätzen gefällt mir. Wir haben hier so etwas Ähnliches auf RadioEins. Immer um kurz vor 23 Uhr gibt es die sogenannten Einsichten, das sind Gedanken aus der Weltliteratur. Das höre ich mir auch gern an. Und ja, ich versuche mich im Perpektivwechsel. Die Betonung liegt auf „versuche“. Ich denke mir, dran bleiben lohnt sich. Ich danke dir für deinen wertschätzenden Kommentar. Liebe Grüße Roswitha

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