Die Milch macht’s

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An Tagen an denen ich nicht gut drauf bin, versuche ich mich mit dem Schreiben aus meinem Tief zu holen, aber heute will mir auch das nicht gelingen. Ein Blick in Doris Dörries „Einladung zum Schreiben“ beruhigt mich – ich lese, dass es auch der erfolgreichen Autorin manchmal so geht. Im Anhang ihres Buches „Leben, Schreiben, Atmen“  fasst sie Themenvorschläge zusammen.  „Schreib über Milch“ lese ich und schon sprudelt es aus mir heraus. Ich greife zu Stift und Papier, schreibe ohne den Stift abzusetzen und die Milch holt mich aus dem Loch und längst Vergessenes wieder hervor. 

Mein Vater arbeitete bei der Milchversorgung. An Milchprodukten gab es bei uns zu Hause keinen Mangel – Käse, Joghurt, Milch waren  immer reichlich vorhanden. Sogar unsere Schweine wurden manchmal mit Joghurt und Quark gefüttert, dessen Verfallsdatum überschritten war. 

Einmal – ich war gerade von der Schule gekommen und sehr durstig – fiel mir in der Vorratskammer eine Milchflasche ins Auge. Sie war schon geöffnet und ohne lange zu überlegen setzte ich sie gierig an den Mund. Schon der erste Schluck blieb mir im Mund stecken, genauer gesagt kleben. Mein Vater hatte die Flasche mit dem breiten Hals dazu benutzt, Klebstoff aufzubewahren. Er wusste glücklicherweise sofort, was zu tun war und spülte meinen Mund mit warmem Wasser aus. Das war meine Rettung. Mein Vater war ein Meister der Improvisation. Wenn er am Wochenende mit dem Milchlaster die Milch bei den Schwarzwaldbauern abholte und ich ihn begleiten durfte, tranken wir – mangels Glas oder Tasse –  schon mal Milch aus dem großen Eimer, der immer mit an Bord war, um die Restmilch aus dem Schlauch der Milchpumpe aufzufangen. Kalte Milch mochte ich gern – warme oder heiße Milch sind mir bis heute ein Gräuel.  Als ich mit dreieinhalb Jahren mehrere Monate in einer Lungenheilanstalt verbringen musste, wurden wir Kinder von den Nonnen gezwungen, heiße Milch und heißen Kakao zu trinken. Besonders eklig fand ich die Haut, die meistens auf der Milch schwamm. Ich erinnere mich an eine Situation beim Frühstück, als ich die Haut aus der Tasse gefischt und den Rand der Untertasse damit ringsum verziert hatte. Die Nonne, die mich dabei erwischte, zwang mich, die Hautstücke unverzüglich zu entfernen und aufzuessen. Es würgte mich. Das empfand die Nonne als Provokation und sie blieb so lange neben mir stehen, bis ich alles hinuntergewürgt hatte. Von diesem Tag an saß immer ein größeres Mädchen neben mir, das dafür zu sorgen hatte, dass ich alles aufaß. Das Mädchen hieß Astrid – ich nannte sie Arschtritt – und die Ärmste war mit mir und ihrer Aufgabe – die sie nicht freiwillig übernommen hatte – vollkommen überfordert. In ihrer Verzweiflung klemmte sie meinen kleinen Körper zwischen ihre Schenkel, damit ich nicht entkommen konnte, hielt mir mit einem Zangengriff den Mund auf und stopfte mir mit der anderen Hand, in der sie einen großen Löffel hielt, alles in den Mund, was ich nicht freiwillig essen wollte. Dazu gehörte auch Quark, den ich mindestens so hasste, wie die Haut auf der Milch.

Meine ‚ 95jährige, pflegebedürftige Mutter machte übrigens ähnliche Erfahrungen in einem Internat, in dem sie während der Nazizeit untergebracht war. Sie isst bis heute keinen Quark, nur leider wird das vom Personal im Pflegeheim, in dem sie heute lebt, immer wieder ignoriert.

Ich trinke jetzt erstmal einen Cappuccino mit schön aufgeschäumter Milch. In dieser Form schmeckt sie mir sogar, wenn sie warm ist.

3 Kommentare Gib deinen ab

  1. Anke sagt:

    Gibt es überhaupt Kinder (oder Erwachsene), die die Haut auf heißer Milch mögen?

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    1. Luisleblog sagt:

      Ich kenne niemanden, Anke – diese Nonnen waren damals wirklich bösartig..

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