Sommerspezial LEIDENSCHAFT 4 – Wenn es sich richtig anfühlt

von Anke Krügel, Blog tuttopaletti.com

„Man muss viele Leidenschaften haben in seinem Leben. 
Es ist zu kurz, als dass man so was nur einmal erleben sollte.“

Romy Schneider

(Zitat gefunden in: Romy Schneider. Bilder ihres Lebens. Henschelverlag Berlin 1987.)

Ob Romy Schneider, als sie diese Worte sagte oder schrieb, an Männer dachte? Gut möglich. Ich meine, ihr Zitat steht für mehr. Die Schauspielerin ging in ihren Rollen auf, während sie das Glück im Privaten immer nur vorrübergehend fand. Manchmal denke ich, es geht mir auch ein bisschen so wie meinem Idol. Ich fühle mich erst dann wirklich lebendig, wenn ich für eine Sache brenne. Schon als Teenager schwärmte ich für die wunderschöne, begnadete Schauspielerin, schrieb mir aus Büchern über ihr Leben Zitate heraus, die mich inspirierten. So wie dieses von den Leidenschaften. Nun kann man sich fragen: Ist es gut, sich von einer Suche treiben zu lassen, diesen absoluten Anspruch zu erheben, leidenschaftlich leben zu wollen? Ich glaube, man muss es einfach tun. Egal, in welchen Verhältnissen man lebt oder gerade dann, wenn alles dafürspricht, einen vorgezeichneten Weg zu gehen. Als Kind lief ich in meinem Land DDR Gefahr, als aufmüpfig zu gelten, weil ich meinen eigenen Kopf hatte. Ich war eine gute Schülerin, und nachdem ich ein paar Jahre in Folge bei der Mathematikolympiade gewonnen hatte, beschloss man, mich zu fördern. Ein Lehrergremium teilte mir mit, dass ich einen Mathezirkel zu besuchen hätte. Ich lehnte ab, denn mein Herz schlug fürs Tanzen. Dreimal wöchentlich trainierten wir. Die gemeinsamen Erlebnisse im Tanzensemble erfüllten mich mit Stolz und Freude. 1986 traten wir bei der „Gala der Unterhaltungskünstler der DDR“ im Palast der Republik auf. Das bedeutete, zwölf Abende lang direkt nach der Schule von Strausberg nach Berlin und spät in der Nacht zurückzufahren. Ich hing in jenen Tagen müde in der Schulbank. Doch es lohnte sich. Für die Aufregung hinter dem Vorhang und das großartige Gefühl, mit bekannten Künstlern des Landes auf einer Bühne zu stehen und das Publikum zu unterhalten.

Nach der Schule studierte ich Betriebswirtschaftslehre. Wenn es nicht nach meinen Eltern und ihrem gutgemeinten Rat, sondern nach mir und meinen Flausen im Kopf gegangen wäre, hätte ich ein Fach wie Literatur- oder Theaterwissenschaften gewählt. Doch selbst auf diesem vermeintlich falschen Weg gab es einen Moment, in dem mich die Leidenschaft packte. Ich hatte begonnen, mich für Banken und das Kapitalmarktgeschäft zu interessieren, den Film „Wall Street“ gesehen und in London die Börse besucht. Von dieser Reise mit einer Gruppe BWL-Studenten zurück, rief ich direkt zuhause an und meine Mutter gestand mir später, dass sie felsenfest überzeugt war, ich hätte „den Mann meines Lebens“ getroffen. So begeistert hätte ich nie zuvor geklungen, als ich ihnen mitteilte: Ich weiß jetzt, was ich beruflich mache. Ich gehe an die Börse.

Nun, ich ging nicht an die Börse, aber hatte in der Bank mit Wertpapierhandel zu tun. Das war interessant, doch nach wenigen Jahren spürte ich, dass das „Big Business“ kein Ambiente war, in dem ich mich zuhause fühlte. Diesen Anspruch hatte ich, auch wenn es nicht leicht war, ihn der Familie zu erklären. Konnte man eine gut bezahlte und hoch angesehene Stelle in einer Landesbank haben und jammern, nicht glücklich zu sein? In Leipzig, wo ich damals lebte, besuchte ich regelmäßig das Schauspielhaus. Die Abende am Theater waren Trost für meine frustrierte Seele. Und als es einen Workshop für Jugendliche gab, bei dem ich mit 26 Jahren noch mitmachen durfte, waren die Weichen gestellt. Wir schrieben und brachten unsere Texte auf die Bühne. Nach dieser Erfahrung stand für mich fest, dass ich von der Bank weggehen und etwas anderes, das Richtige für mich finden müsse. Ich versuchte es im Journalismus, schrieb für ein Stadtmagazin und bewarb mich um Praktika. Für drei Monate in der Redaktion einer Frauenzeitschrift ließ ich mich von der Bank freistellen und zog nach Hamburg. Von dort aus wagte ich den Absprung. Nicht den ins kalte Wasser, sondern den ins sprichwörtliche Nichts. Als ich kündigte, hatte ich noch keine Stelle oder Volontariat, aber in drei Monaten Kündigungsfrist Zeit, etwas zu finden. Der Zufall oder das Schicksal wollte es, dass ich statt eines Journalistenjobs in Deutschland ein Texter-Praktikum im Ausland antrat. Bevor ich dreißig wurde, hatte ich meinen Platz gefunden. Ich war in Italien angekommen, glücklich mit meinem neuen, wenn auch finanziell bescheideneren Leben. Es fühlte sich richtig an. Ich tat beruflich, was mich inspirierte, lernte eine neue Sprache, neue Menschen, eine neue Kultur kennen. 

Bis heute nehme ich gern Sachen in Angriff, bei denen das Herz höherschlägt. So ging es mir, als ich den Schriftsteller Lorenzo Licalzi anschrieb, weil mir seine Bücher so gefielen und ich ihn fragte, ob ich eins übersetzen dürfe. Damit auch die deutschen Leser seine wunderbaren Geschichten lesen könnten. Oder als ich meinen eigenen Roman schrieb, in dem ich erzähle, wie das damals war, als Teenager in den letzten Monaten der DDR. Wenn man in einem Mikrokosmos lebte, in dem die Veränderungen erst spät ankamen und es sich bis zuletzt gut lebte. Dann das Bloggen, wieder aus einer Inspiration geboren, nämlich der Idee einer Umfrage unter Deutschen und Italienern zu ihren Erfahrungen in den ersten Wochen der Pandemie. Danach führte ich die Webseite als Blog weiter. Und bekomme manchmal wunderbares Feedback. Wie das zu einem Text im August 2021, unter dem eine Leserin aus Hamburg spontan kommentierte: „Dein Beitrag zum Mauerbau berührt mich mehr als alle Zeitungsartikel und Fernsehberichte zusammen.“ Ob ich mit dem Schreiben „berühmt“ werden will? Ach was. Auf der Bühne möchte ich stehen, vor dem Rampenlicht habe ich Scheu. Kennt ihr das Musical „A Chorus Line“? Es geht darum, dabei zu sein, auch ganz hinten in der letzten Reihe. Eine Rolle in einer Produktion zu spielen, die Menschen unterhält, begeistert, anregt. So ging es mir mit dem Bühnentanz, dem kurzen Abstecher auf die Theaterbühne, dann beim Schreiben. Immer wenn ich nur tat, was vernünftig war oder erwartet wurde, fühlte ich mich irgendwann unglücklich. Die unbequemen, verrückten Aktionen waren genau richtig, weil ich daran glaubte. Auch heute träume ich davon, irgendwann noch einmal irgendwo mitwirken zu können, und sei es unsichtbar als Souffleuse am Theater oder als Lektorin der Untertitel eines Films. Ich möchte Teil einer gemeinsamen Sache sein, mich einbringen und Menschen erreichen, ihnen Freude bereiten. Denn, wie schon Romy so treffend formulierte: Das Leben ist zu kurz, um so was nur einmal zu erleben. 

5 Kommentare Gib deinen ab

  1. Mindsplint sagt:

    Liebe Anke, ich bin beeindruckt von deinem Schreibstil, sowie von deinem Werdegang, gezogen an einem nur für dich sichtbaren Band, welches dich scheinbar immer genau dahin zog, wo du für diese Dekade richtig aufgehoben warst. Und es auch noch bist. Denn wer so leidenschaftlich (be)schreiben kann, leidet nicht, weil er immer wieder etwas neues schafft! 🙂
    Danke fürs Teilen und weiterhin ‚guten Zug‘ gewünscht, liebe Grüße Bea

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  2. Anke sagt:

    Danke liebe Bea, für deine lieben Zeilen und guten Wünsche. Ich bin jetzt in dem Alter, wo man gern und immer öfter von früher erzählt. Dabei sollte es auch Themen für die Zukunft geben. Natürlich ist die Situation anders, wenn man Kinder hat. Sie stehen jetzt im Mittelpunkt, und es ist spannend, ihre Entwicklung zu begleiten (und sich an Vergleichbares in der eigenen Jugend zu erinnern 😄). Mal schauen, wo das nur für mich sichtbare Band, wie du es so zauberhaft formulierst, auch in dieser Konstellation der Familie, noch hinführt. Liebe Grüße zu dir!

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  3. freudezeitleben sagt:

    Liebe Anke, was für ein schöner Beitrag! 😍 Und Du hast mich neugierig gemacht: In Deinen Blog schaue ich gleich mal rein!
    Ganz herzliche Grüße
    Elke

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    1. Anke sagt:

      Danke, liebe Elke, und herzliche Grüße aus Italien.

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