Sommerspezial LEIDENSCHAFT 2 – Auf einem Acker in Korea

von Jonas Jungblut

Jonasjungblut.com

Ich stehe auf einem Acker in SüdKorea. Die Sonne klettert langsam über den Horizont und, gefiltert durch eine Schicht tief hängender Wolken, illuminiert sie das Geschehen weich, doch dramatisch. Schöne, warme Farben und vor mir schuften vietnamesische Gastarbeiter in sandiger Erde. Sie ziehen Ginsengwurtzeln aus dem Boden. Eine alte Frau, schrumpeliges Gesicht, blickt auf und grinst mich an. Ich mach ein Porträt.

Dann halte ich inne, denn mich überkommt etwas. Ein Gefühl, eine Realisation. Ich stehe zum Sonnenaufgang auf einem Acker in SüdKorea, mit unglaublichem Licht und ich fotografiere grinsende Menschen. Und das ist meine Arbeit. Nein, es ist nicht meine Arbeit. Es ist meine Leidenschaft.

Momente wie dieser sind wichtig, wenn man seine Leidenschaft zum Beruf macht. Besonders als Fotograf. Wir alle, wir Fotografen, träumen von traumhaftem, dramatischem Licht, Sonnenaufgängen in fernen Ländern und Publikationen in Magazinen. Die Realität hat leider oft nicht viel damit zu tun. Kreative Ideen kommen von jemand anderem, die Bezahlung ist schlecht, das Licht ist langweilig und die Bilder sterben einen langsamen Tod auf irgendeiner Festplatte.

Deswegen muss man vorsichtig sein mit seiner Leidenschaft, denn sie ist ein Schatz. Und einen Schatz sollte man nicht gegen Geld oder Egostreicheleien eintauschen. Seine Leidenschaft muss man hüten und mit Respekt behandeln. Seine Leidenschaft zum Beruf, zu einem Zweckmittel, zu machen kann böse nach hinten losgehen. Der Auftrag, für den ich da in Korea auf dem Acker stand, war mein letzter für das Magazin. Trotz dieses Augenblicks hatte ich realisiert, dass ich meiner Leidenschaft schadete und ich beendete die Kollaboration.

Das war ein Zeichen an die Leidenschaft, dass ich verstand, dass wir uns voneinander entfernten. Ein Versuch der Wiedergutmachung. Eine Richtungsänderung zurück zueinander. Der Moment auf dem Acker war so eindeutig eine Ausnahme in dem Arbeitsverhältnis, er wurde ein Wegweiser.

Die Leidenschaft ist eben etwas, das einen nachts nicht schlafen lässt und dann morgens aus dem Bett zieht. Sie ist unbeirrbar und ehrlich. Ein wichtiger Leitfaden im Leben. Eine gesunde Leidenschaft eröffnet das Leben und bringt alle möglichen Erlebnisse mit sich. Sie ist ein Anker und ein Antrieb, auf den man sich verlassen kann. Ohne eine Leidenschaft ist alles nur eine Aneinanderreihung von Geschehnissen, die unverstanden Energie kosten. Die Leidenschaft schließt den Kreis und erlaubt uns Erfüllung im Leben.

Grad diese Woche bin ich drei Tage hintereinander um viertel vor fünf morgens aufgestanden und auf den Berg gefahren, um einen Raketenstart zu fotografieren. Wir haben momentan eine wunderschöne Wolkendecke, die morgens an der Küste hängt und ich wollte dieses Spektakel im Bild haben, wenn die Rakete über den Himmel zischt.

Am ersten Morgen überkam mich die “schöne” Wolkendecke zwei Minuten vor dem Start und ich sah nichts mehr. Zum Glück wurde der Start abgesagt. Am zweiten Tag fuhr ich bis ganz nach oben auf den Berg und bis zu einem speziellen Örtchen. Da stand ich dann zwanzig Minuten und sechzehn Sekunden vor dem Start wurde er wieder abgeblasen. Am dritten Tag fuhr ich zu wieder einem anderen Ort und dann ging alles gut. Allerdings war das Licht nicht so sonderlich berauschend und die Rakete machte nur ein kleines Wölkchen. Das Foto war schön, aber die Leidenschaft war eben nicht das fertige Bild, sondern die Jagd danach. Die Begegnungen, die man um halb sieben am Morgen in der Wildnis macht, der Maulwurf, die Teenager mit ihrem Bluetooth Speaker, der Stein, den man ins Auto wuchtet, weil er da so schön am Straßenrand liegt und doch viel besser zu Haus im Blumenbeet aussehen würde. Momente des Erfolgs und Momente der Ernüchterung, kurz gesagt ein ausgefülltes Leben, das ermöglicht einem eine Leidenschaft.

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