Sommerspezial LEIDENSCHAFT 11 – Hinaus in die Welt

Bei uns zu Hause gab es zwei alte, etwas abgegriffene Atlanten – sie waren aus der Zeit vor dem 2. Weltkrieg, in der die Welt noch anders aufgeteilt war. Meine Mutter erzählte mir, dass sie als Kind mit ihrem Onkel, ihrem Pflegevater, mit großem Vergnügen diese Atlanten studierte und so auf „Weltreise“ ging. Sie kannte die Namen der Hauptstädte der meisten Länder und wollte Farmerin in Afrika werden. 

Mich zieht es schon seit meiner frühen Jugend hinaus in die Welt, ob es an den Genen liegt oder daran, dass ich in einem kleinen Dorf in Süddeutschland aufgewachsen bin, das mir zu eng wurde, kann ich nicht sagen – vielleicht ist es beides. Im Unterschied zu meiner Mutter kannte ich nicht viele Namen von Hauptstädten außerhalb Europas, aber ich hatte die Möglichkeit sie zu bereisen und kennenzulernen.

Dass Bujumbura die Hauptstadt von Burundi ist, lernte ich zum Beispiel erst, als ich bereits in Ostafrika unterwegs war, so wie ich auch heute noch das meiste über ein Land erst erfahre, während ich auf Reisen bin. Ich plane meine Reisen nicht im Voraus, studiere keine ausführlichen Reiseführer und lege keine festen Reiserouten fest. Diese Freiheit ist mir wichtig, eine zu detaillierte Planung würde ich als Einschränkung empfinden. Im Gegensatz zu vielen anderen Reisenden weckt nicht die Reiseliteratur meine Reiselust, sondern das Reisen selbst animiert mich dazu, mehr über das jeweilige Land zu erfahren, in dem ich mich gerade befinde.

Manchmal sind es Namen von Orten, ein anderes Mal Menschen, die mir im Laufe meines Lebens begegnet sind und manchmal  auch ein Foto, ein Film oder ein Zeitungsartikel, die mein Interesse an einem Land, einer Landschaft oder einer Kultur wecken.

Als mein Mann J., der seit drei Jahrzehnten auch mein treuer Reisepartner ist, mir einmal erzählte, dass er sich schon als Kind für „Rangoon“ interessierte, weil er den Namen der Stadt so klangvoll fand, konnte ich ihm den Wunsch, nach Myanmar zu reisen, nicht abschlagen, obwohl ich fand, dass man das Land aus  politischen Gründen boykottieren sollte. Unterwegs wurde ich eines Besseren belehrt. 

Ich begann zu reisen, als es noch kein Internet gab und „Work and Travel“ noch nicht erfunden war. Mit einundzwanzig trampte ich mit einem Freund durch das damalige Jugoslawien bis nach Griechenland. Wir wollten in Piräus auf einem Schiff anheuern, um nach Ägypten überzusetzen. In Piräus lernten wir zwar Seeleute kennen, die uns zum Feiern mit auf ihren Frachter nahmen, anheuern konnten wir bei ihnen aber nicht und so mussten wir uns am Ende doch ein Flugticket nach Kairo kaufen. Kairo – auch hier war es der Name, der mich neugierig machte. Bunte Basare, unbekannte Früchte, Tee aus frischer Minze, Männer in langen weißen und grauen Gewändern, die vor den Teehäusern Backgammon spielten. Ich war das erste Mal außerhalb Europas und überwältigt, häufig aber auch verärgert über das respektlose Verhalten der Männer gegenüber mir als Frau. Das Reisen in Ägypten war oft  anstrengend und  nicht immer einfach, aber ich war bereit, die Beschwernisse in Kauf zu nehmen, um die Welt zu entdecken.

Wenig später erzählte mir eine Kommilitonin von ihrem Plan, zum größten Fest der Inka, dem Fest der  Wintersonnenwende, nach Südamerika zu reisen. „Südamerika“ und „Inka“ –  mein Kopfkino begann zu laufen und malte die Menschen und Landschaften in den schillerndsten Farben. Vielleicht war es ja meiner Mutter ähnlich gegangen, als sie vor 80 Jahren ihre Atlanten studierte? Zwei Jahre und mehrere Studentenjobs später saß ich mit meinem Freund im Flieger, denn dank Freddie Laker und seiner Billigfluggesellschaft Laker Airways konnten wir uns die Reise über den großen Teich nun leisten. Von Treibhausgasen und Erderwärmung redete damals noch niemand. Wir hatten zwei Urlaubssemester Zeit und konnten so lange unterwegs bleiben, wie unser Geld reichte. Es reichte acht Monate. Das Fest der Wintersonnenwende verpassten wir zwar, aber wir wurden zu  vielen anderen traditionellen Festen eingeladen. Lateinamerika überraschte mich jeden Tag aufs Neue mit den Traditionen und Geschichten und den Parallelwelten der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen. Dass das Leben der armen ländlichen Bevölkerung nicht nur bunt, sondern oft grau und vom Überlebenskampf geprägt war, habe ich auf dieser Reise sehr schnell gelernt. 

Eine einprägende Erfahrung war, als ich nach den ersten Wochen eines Spanisch-Kurses in Guatemala in der Lage war, ein einfaches Gespräch mit einer indigenen Frau zu führen.  Mich mit einem Menschen aus einem mir völlig unbekannten Kulturkreis unterhalten zu können, fand ich großartig. Der Austausch mit den Menschen veränderte im Laufe dieser Reise meinen Blick auf das, was mir vorher „fremd“ war.  

Meine Leidenschaft für das Reisen war endgültig entfacht. 

Es folgten viele weitere Reisen. Ich kündigte meine Arbeit, um zu reisen, ließ mich beurlauben und nutzte später die Möglichkeit von Sabbaticals, um länger unterwegs sein zu können.  Ich trampte durch die weite flache Pampa in Argentinien, in der der Horizont mit dem Himmel zu verschmelzen schien und fühlte, wie diese Reise auch meinen Horizont erweiterte. Im australischen Outback, einer Landschaft, die auf ganz andere Weise weit und grenzenlos erscheint, faszinierte mich die tiefe Verbundenheit der Aborigines mit der Natur, gleichzeitig stimmte mich ihr Schicksal traurig. Ich erlebe immer wieder, dass gestörte Harmonien zwischen Mensch, Landschaft und Natur großes Leid zur Folge haben.

Was ist es nun, was mich am Reisen so sehr fasziniert?  Es ist wohl eine Mischung aus Abenteuerlust und Neugierde. Es ist das Kribbeln im Bauch, wenn ich nicht weiß, was als Nächstes passiert und wer mir begegnet. Es sind natürlich auch die unterschiedlichen Landschaften, die Pflanzen- und Tierwelten, die mich begeistern, aber vor allem sind es die Begegnungen mit Menschen aus anderen Kulturkreisen und Lebenszusammenhängen, die mich inspirieren.

Ein besonderes Erlebnis hatte ich, als ich mit gebrochenem Fuß und Krücken durch Kolumbien und Peru reiste. Die Menschen begegneten mir plötzlich anders. Sie tauschten ihre traditionellen Heilmethoden mit mir aus, erzählten von ihren eigenen Krankheiten und wie sie diese geheilt hatten. Trotz aller kulturellen und sozialen Unterschiede entdeckten wir viele Gemeinsamkeiten. Es sind solche Begegnungen, aber auch  Freundschaften, die sich unterwegs entwickeln, die das Reisen für mich so besonders machen. Es sind auch die Herausforderungen, die damit verbunden sind, denn nicht immer sind die Begegnungen nur erfreulich, manchmal sind sie anstrengend und konfliktbeladen, manchmal auch traurig. Ab und zu fällt es mir schwer, die Perspektive anderer einzunehmen und sie zu verstehen. Aber darin liegt eben auch eine Herausforderung und es lohnt sich, diese anzunehmen. Sich auf das Unbekannte einzulassen, heißt für mich auch, eine Vielfalt von Lebensformen kennen und schätzen zu lernen und immer wieder neuen Wundern zu begegnen, die mein Leben bereichern. 

„Es gibt nur zwei Weisen die Welt zu betrachten: entweder man glaubt, dass nichts auf der Welt ein Wunder sei oder aber, dass es nichts als Wunder gibt.“ ( Albert Einstein)

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