Hier liegt sie, so wie sie zu liegen pflegte …

Sie muss eine lebensfrohe, sinnliche Frau gewesen sein, denke ich, als ich die Inschrift auf dem Grabstein von Françoise Cactus lese: „Hier liegt sie, so wie sie zu liegen pflegte, nur dass sie, solange sie lebte, den Po dazu bewegte“, steht da unter dem Namen der deutsch-französischen Musikerin und ich sehe sie leibhaftig vor mir.

Direkt neben Françoise Cactus befindet sich das Grab von Rio Reiser. „Wollen Sie ihm zum Geburtstag gratulieren?“ hatte uns der Friedhofswärter auf dem alten Sank-Matthäus-Kirchhof in Berlin-Schöneberg gefragt, bei dem wir uns nach Rios Grab erkundigt hatten. Auf einer Bank neben Rios letzter Ruhestätte sitzt eine ältere Frau. „Sind Sie zu Rios Geburtstag gekommen?“ fragt auch sie. „Ich wohne in der Nähe und komme regelmäßig hierher,“ erzählt sie uns, „dann setze ich mich auf die Bank, schaue auf Rios Grab und denke darüber nach, was ich tun würde, wenn ich Königin von Deutschland wäre.“ 

R.  und ich gehen gerne auf Friedhöfen spazieren. Wir genießen die Ruhe und die vielen interessanten Geschichten, die uns dort begegnen. 

Manchmal verweilen wir etwas länger vor einem Grab. „Das muss ein Bildhauer gewesen sein“  mutmaßen wir beim Anblick einer modernen Skulptur und an einer anderen Stelle wundern wir uns über einen Aktenkoffer, der als Grabstein dient. Bei der Recherche im Internet werden mir manchmal fündig und erfahren etwas über die Lebensgeschichten von Verstorbenen.

So unterschiedlich wie die Menschen sind auch die Orte, an denen sie ihre letzte Ruhe finden. 

Bemerkenswert erschien uns das zum Kulturquartier Silent Green umgewidmete ehemalige Krematorium Wedding. Es liegt direkt neben einer recht ungewöhnlichen Urnenbegräbnisstätte, in der die Gefäße – für jede/n zugänglich – in offenen Regalen aufbewahrt werden. An den Namen und Erinnerungsstücken, die neben den Urnen abgelegt wurden, kann man die kulturelle Vielfalt der hier Bestatteten erkennen.
Der jüdische Friedhof in Berlin-Weißensee gilt zu Recht als einer der größten und schönsten jüdischen Friedhöfe Europas und erzählt vom Schicksal der Juden vor, während und nach dem Holocaust. Beeindruckt haben mich hier auch die alten von Efeu umrankten Gräber aus dem späten 19. Jahrhundert.

Auf dem alten Luisenstädtischen Friedhof am Südstern staunen wir über die vielen Gräber mit selbst gestalteten Grabsteinen, bunt bemalten Bänken und tibetischen Gebetsfahnen, die vom Lebensstil der hier ansässigen Bewohner*innen zeugen.

Auf dem Bornstädter Friedhof in Potsdam überwiegen prächtige Grabstätten, hier hat sich der Potsdamer und Berliner Adel eingekauft. Für Menschen, deren Bestattung vom Sozialamt finanziert wurde, gibt es ein großes Urnengräberfeld auf  dem katholischen Domfriedhof in Mitte. Und so spiegeln selbst die Friedhöfe ein wenig die gesellschaftliche Realität in Deutschland wider.

Auf dem Domfriedhof, dem ältesten katholischen Friedhof Berlins, finden wir auch historische Grabstätten und Überreste der Berliner Mauer, in gewisser Weise die letzte Ruhestätte für dieselbe.

Über den Dorotheenstädtischen Friedhof in der Chausseestraße in Berlin-Mitte sang Wolf Biermann bereits 1972 „Da liegt allerhand große Leut / Und liegen auch viel kleine Leute / Da stehen riesengroße Platanen / Daß es die Augen freut“ Auf diesem wohl bekanntesten Berliner Friedhof liegen auch Bertold Brecht und Helene Weigel begraben, die in unmittelbarer Nähe lebten. Brecht blickte von seinem Arbeitszimmer direkt auf die letzte Ruhestätte der Philosophen Hegel und Fichte.

Besonders schön ist der Waldfriedhof Heerstraße am Olympiastadion. Der auch als Prominentenfriedhof bekannte Ort,  liegt an einem zu einem See hin abfallenden Parkgelände, auf dem die Gräber weitläufig verteilt und zum Teil mitten im Wald versteckt sind. Hier liegen unter anderem Loriot und Horst Buchholz.

Der Friedhof Grunewald, auch als Selbstmörderfriedhof bekannt, liegt idyllisch mitten im Wald. Weil Suizid im 19. Jahrhundert als Todsünde galt, lehnten die christlichen Kirchen die Bestattung von Selbstmördern ab. Diese konnten nur auf einem nicht konfessionellen Friedhof, wie dem des Forstamts Grunewald, beigesetzt werden. Hier liegt übrigens auch die Musikerin Nico begraben, die aber nicht durch Selbstmord zu Tode kam, sondern an den Folgen eines Fahrradunfalls mit nur 50 Jahren verstorben ist. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Nicos Plattenfirma ihre Platte „The end“ mit dem Text beworben hat: „Warum Selbstmord begehen, wenn Sie diese Platte kaufen können?“ 

Gerne besuche ich auch Friedhöfe, wenn ich auf Reisen bin, denn auch dadurch können sich mir fremde Kulturen erschließen.

„Have a drink,on me“, steht auf einem zum Grabstein umfunktionierten Schnapsfass auf dem Friedhof im Outback Städtchen, Coober Pedy in Australien. Die Gräber auf diesem Wüstenfriedhof, auf dem kein einziger Grashalm zu finden ist, lassen die Lebensläufe der an diesem abgelegenen Ort fern der Heimat Verstorbenen erahnen: Auswanderung, Pionierdasein, Abenteuerlust, harte Arbeit, Alkohol … geboren in Italien, Griechenland  oder Preußen. „Ein letzter Gruß aus Hamburg“, steht auf einem Grab, auf dem Bergmannswerkzeuge liegen.

Auf dem Dorffriedhof im  rumänischen Săpânța im Kreis Maramureș weisen Zeichnungen und Texte auf farbenprächtigen Holzkreuzen auf die Lebensgeschichten der Verstorbenen hin. Charaktereigenschaften, Lebenswandel, Todesumstände – mitgeteilt wird, was die Nachkommen über den Verstorbenen oder dieser über sich selbst der Nachwelt hinterlassen wollen – manchmal mit einem Augenzwinkern ironisch, oft lebensbejahend, auch traurig und tragisch oder ungeschminkt kritisch. 

Spaziergänge auf Friedhöfen sind für mich – nicht nur in Berlin – eine Quelle der Inspiration und der Begegnung mit Menschen und ihren Schicksalen.

Auf dem Sankt-Matthäus-Kirchhof in Schöneberg berührt mich besonders das große bunte Feld mit zahllosen kleinen Grabstätten, die von den Angehörigen mit Windrädern und Spielzeugen gestaltet wurden. Hier ruhen die Sternenkinder. Es ist schmerzhaft zu sehen wie viele ungelebte Leben hier zu Grabe getragen werden mussten. Gleichzeitig ist es aber auch tröstlich zu wissen, dass es inzwischen auch solche Orte gibt.

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